Europäisches
Rußland
Finnland
Lage
und Grenzen
Das Großfürstentum Finnland, die Brücke zwischen Rußland und
Skandinavien, grenzt im Norden und Nordwesten an Norwegen und Schweden, im
Westen an den Bottnischen, im Süden an den Finnischen Busen und im Osten
an den Ladogasee sowie die Gouvernements St. Petersburg, Olonez und
Archangelsk. Es übertrifft mit seinen 383604 qkm Großbritannien und
Irland an Umfang.
Küsten
Am nördlichen Teil des Bottnischen Busens ist die vielfach mit Sumpf
bedeckte Küste flach, aber sehr unregelmäßig durch Einschnitte und
Landzungen gegliedert. Von Kristinestad an jedoch bildet das Urgebirge die
steil abfallenden und in viele Buchten gegliederte Küste, der wie in
Schweden ein Gewirr von kleinen Felseninseln, Schären, vorgelagert ist.
Die Küste ist daher reich an guten, aber häufig nicht leicht zugänglichen
Häfen. Hinter ihr liegt zunächst ein verhältnismäßig fruchtbarer und
seenarmer Streifen.
Der an seiner tiefsten Stelle nur etwa 100 m tiefe Bottnische Busen wird
im Süden abgeschlossen durch die Alandsinseln, ein Gewirr von über 300
Eilanden, von denen 80 bewohnt sind. Militärisch kommt ihnen insofern
eine Bedeutung zu, als sie den Eingang zum Bottnischen wie zum Finnischen
Busen flankieren und der russischen Minenflottille bei ihren
Unternehmungen gegen die feindliche Flotte oder deren Verbindungslinien
als Rückhalt dienen können. Weiter nördlich befindet sich eine ähnliche
Inselgruppe, die Quarken.
Bodengestalt
und Gewässer.
Ein Ausläufer des Skandinavischen Gebirges, Maan Selkä genannt,
durchzieht die finnische Landbrücke von Norden nach Süden und scheidet
das Großfürstentum Finnland von den russischen Gouvernements Archangelsk
und Olonez. Dieser etwa 300 m hohe Rücken, der einzelne Kuppen bis 550 m
aufweist und zugleich die Wasserscheide zwischen dem nördlichen Eismeer
und der Ostsee bildet, senkt sich immer mehr verflachend im Süden bis auf
200 m herab. Westlich dieser Wasserscheide nimmt den größten Teil des
Gebietes die Finnische Seenplatte ein, ein fast durchweg mit Wald
bedecktes von einer ungeheuren Anzahl stehender und fließender Gewässer
unterbrochenes Plateau, das eine Fülle kleiner und sanfter Unebenheiten
aufweist.
An Seen ist mithin Finnland wie kein anderes Land reich, bildet doch ihre
Gesamtoberfläche fast 50 000 qkm. Durch zahlreiche Flüsse und Kanäle
werden die Seen mit einander zu einzelnen Gruppen oder
"Systemen" verbunden, deren wichtigste sind:
1. das Saima-System: hier bildet der große und sehr reichgegliederte
Saimasee das Sammelbecken; er entsendet den Fluß Wuox zum Ladogasee (beim
Austritt dieses Flußes aus dem See entsteht der berühmte Imatra-Fall).
Mit dem Finnischen Meerbusen (Wiborg) ist der See durch den Saima-Kanal
verbunden;
2. weiter westlich liegt das System des Paijannesees, der den Fluß Kymen
zum Finnischen Busen entsendet;
3. westlich hiervon der Seenbezirk von West-Tavastland;
von hier Verbindung mit dem Bottnischen Busen durch den Kümo-Elf;
4. im Norden die Uleä-Seengruppe.
Die Seen und ein Teil ihrer Zu- und Abflüsse sind streckenweise
schiffbar, bei einer großen Anzahl von Wasserläufen jedoch ist die
Schiffahrt durch Felsklippen und Stromschnellen erheblich behindert. So
ist nur ein einziger stets brauchbarer Wasserweg aus dem Inneren mit dem
Meere zu verzeichnen: der Saima-Kanal.
Militärgeographisch betrachtet bilden die finnischen Seen und Flüsse
ausgedehnte, durch wenige Übergänge unterbrochene Hindernislinien, die
den Angriff außerordentlich erschweren oder doch den Angreifer zu großen
Umgehungen zwingen. Die zahlreichen, gleichlaufend zur Yormarschlinie sich
hinziehenden Gewässer behindern die gegenseitige Unterstützung der
einzelnen Kolonnen. Dem Verteidiger, der im Besitze des Seengebietes auch
über eine genügende Anzahl von Schiffen verfügt, ist die Möglichkeit
gegeben, mittelst dieser Fahrzeuge Truppenverschiebungen kleineren Stiles
rasch vorzunehmen, vielleicht auch Unternehmungen gegen Flanke und Rücken
des Feindes durchzuführen. Alles dies gilt jedoch nur für die wärmere
Jahreszeit, denn im Winter verlieren die zugefrorenen Gewässer ihren
Charakter als Hindernisse.
Größere militärische Unternehmungen sind in dem Seengebiet übrigens
schon deswegen kaum anzunehmen, weil neben den Gewässern auch der Wald
die Gefechtstätigkeit großer Truppenmassen so gut wie ausschließt;
dagegen eignet sich das Gebiet wohl zur Führung des Kleinkrieges.
Neben den Flüssen und Seen nehmen die Sümpfe trotz eifrig betriebener
Entsumpfungsarbeiten immer noch einen großen Raum ein, besonders in den nördlichen
und östlichen Bezirken.
Große Ströme besitzt Finnland nicht, den meisten der die Seen
verbindenden oder dem Meere zuströmenden Wasseradern kommt nur die
Eigenschaft eines mehr oder minder wichtigen taktischen Hindernisses zu;
von besonderer Bedeutung ist nur der Kymen, denn er versperrt bei Abo oder
Helsingfors gelandeten feindlichen Truppen den Vormarsch auf Wiborg, wobei
die hinter diesem Fluß stehende russische Verteidigungsarmee im Norden
durch das Paijannesee-System, im Süden durch den Finnischen Busen Deckung
findet.
Ein ähnliches Hindernis bildet der Saima-Kanal für einen längs der Küste
auf Wiborg - St. Petersburg vordringenden Angreifer.
Wälder
Finnland ist das waldreichste Gebiet Europas; weit über die Hälfte des
Bodens (57,1 %) ist mit Wald bedeckt und zwar hauptsächlich im Inneren, während
die Küstenstreifen des Finnischen und Bottnischen Busens weniger dicht
bewaldet sind; großen Truppenkörpern ist daher wohl nur dort die Möglichkeit
gegeben, eine Gefechtstätigkeit zu entwickeln.
Klima
Das finnische Klima ist rauh und kalt, aber trotzdem gemäßigter als in
anderen Gebieten gleicher Breite in Rußland. Es wird umso milder, je
weiter man nach Süden und Südwesten kommt. Eine besondere Eigenart des
Klimas ist der jähe Temperaturwechsel und der große Feuchtigkeitsgehalt
der Luft, eine Folge der großen Massen aufsteigender Wasserdämpfe, die
einen fast stets bewölkten Himmel erzeugen und häufigen Regen sowie beständige
Winde zur Folge haben.
Zum Biwakieren finden die Truppen daher während der größten Zeit des
Jahres ungünstige Verhältnisse vor, sie sind dann auf die Ortsunterkunft
angewiesen, mit der es aber bei der dünngesäten Bevölkerung und dem
Mangel an größeren Ortschaften schlimm bestellt ist.
Die ungünstigsten Zeiten für Truppenbewegungen sind der Winter, wo der
hohe Schnee das Vorwärtskommen erschwert und das Frühjahr, die Zeit der
Schneeschmelze, in der die Wegsamkeit durch die austretenden Gewässer außerordentlich
leidet.
Bevölkerung
Die Bevölkerungsdichte kann, wie dies in der Natur des Landes begründet
ist, nur gering sein: nur 10 Einwohner kommen auf l QW. Am dichtesten bevölkert
ist das Küstengebiet, am dünnsten der Nordosten.
Die Hauptmasse der Bevölkerung bilden die Finnen mit 86,7%, die in der
Mitte, im Norden und Osten ihre Wohnplätze haben, während die Schweden
(13%) mehr im Südwesten und auf den Alandsinseln ansässig sind; Russen
(0,2%) finden sich in Helsingfors, Wiborg und im Gouvernement gleichen
Namens. - Daß im Falle eines Krieges Finnen und Schweden eher gegen als für
Rußland Partei ergreifen werden, ist bei der tiefen Erbitterung, die
schon im Frieden in Finnland gegen alles Russische herrscht, kaum zu
bezweifeln.
Nur ein geringer Bruchteil der Bevölkerung lebt in Städten (9%). Die größten
Städte sind: Helsingfors 111 000 Einwohner, Abo 43 000 Einwohner,
Tammerfors 40 000 Einwohner und Wiborg 53000 Einwohner.
Erst auf 29 QW trifft eine Ansiedelung; diese selbst sind klein, aber im
Vergleich zu den russischen und polnischen sauber und wohnlich, wie überhaupt
die Bevölkerung kulturell weit höher steht als die Russen (bei den
Finnen nur 1,2 % Analphabeten gegen 62 % russische Rekruten-Analphabeten).
Trotzdem müssen die Quartierverhältnisse als ungünstig bezeichnet
werden, denn die kleinen und weit auseinanderliegenden Ortschaften reichen
zur Unterbringung größerer Truppenmassen nicht aus.
Wirtschaftliche Verhältnisse
Mehr als ein Drittel der Gesamtfläche (36,5%) ist unproduktiv, das
Waldland beträgt 57,1 %, Wiesen und Weiden 5 %, Ackerland nur 2,3%. Diese
Ziffern machen es verständlich, daß nicht einmal die schwache
einheimische Bevölkerung über genügend Getreide verfügt und auf die
Zufuhr angewiesen ist - umsomehr wäre dies im Falle eines Krieges für
die in Finnland operierenden Truppen nötig. Dagegen ist die Viehzucht so
entwickelt, daß Fleisch über den Bedarf vorhanden ist. Auf 100 Einwohner
treffen 45 Stück Hornvieh, 40 Schafe und 8 Schweine. Weniger reich ist
das Land an Pferden: 12 auf 100 Einwohner.
Also nur mit Schlachtvieh und in geringem Maße auch mit Futter sowie auch
Pferden und Fahrzeugen wird im Kriegsfalle eine in Finnland operierende
Armee sich aus dem Lande selbst versorgen können, während der Bedarf an
Mehl von auswärts gedeckt werden muß.
Eisenbahnen
Als die wichtigste Bahn darf der einzige Rußland mit Schweden verbindende
Schienenstrang angesehen werden: die Linie St. Petersburg -Wiborg- Riihimäki
- Tammerfors - Seinäjoki - Uleäborg (von dort Anschluß an das
schwedische Bahnnetz). Von ihr gehen mehrere Zweiglinien ab: nach Norden
ins Landinnere die Linien nach Joensu und Kaijana, nach Süden und Westen
zur Meeresküste:
die Linien nach Kotka, Helsingfors, Hange, Abo, Björneborg, Nikolaistad
und Jakobstad.
Wege
Das Wegenetz ist reich entwickelt, namentlich in dem ebenen Küstenstrich
längs des Finnischen und Bottnischen Busens. Infolge des günstigen
harten Untergrundes und des Reichtums an Steinen sind die Straßen leicht
dauerhaft herzustellen und zu unterhalten. Viele der Wege, rechts und
links von Gewässern eingerahmt, besitzen die Eigenschaft von Engnissen.
Befestigte Plätze
Finnland besitzt nur zwei feste Plätze, die Festung 2. Klasse Sveaborg
und die Festung 3. Klasse Wiborg. Sveaborg, der finnischen Hauptstadt
Helsingfors vorgelagert, ist bestimmt, diese zu schützen sowie einen
durch den Finnischen Busen vorstoßenden Angreifer in der Flanke zu
bedrohen. Die Festung liegt auf sieben, durch Brücken verbundenen Inseln,
die den Eingang in die Bucht von Helsingfors beherrschen. Wiborg, dessen
Aufgabe ist, den Landweg von Finnland auf St. Petersburg zu sperren,
besteht aus einer Reihe vorgeschobener Forts, namentlich auf der Ostseite
und auf Trängsund.
Militärische Bedeutung des Kriegsschauplatzes
Wenngleich man es den freiheitsliebenden Finnen, deren geistige und
materielle Kultur nichts mit der russischen gemein hat, nachfühlen kann,
daß sie den bald mehr, bald weniger schroffen Russifizierungsversuchen
gegenüber den größtmöglichen Widerstand entgegensetzen, so muß
andererseits doch auch anerkannt werden, daß für Rußland eine zwingende
politische Notwendigkeit vorliegt, sich Finnland nicht nur dem Namen nach,
sondern in der Tat botmäßig zu machen, denn es wäre für eine Großmacht
ein Unding, dicht vor den Toren ihrer Haupt- und Residenzstadt ein selbständiges
und feindselig gesinntes Staatsgebilde zu dulden.
Für Rußland kann Finnland zum Kriegsschauplatze werden bei einem
Waffengang mit Schweden oder bei einem Aufstande in Finnland selbst, den
die russische Regierung mit Gewalt niederwerfen müßte. - Die Möglichkeit,
daß Rußland dereinst, nach dem Wiederaufbau seiner Seemacht, wichtige
Ziele in Skandinavien verfolgen könnte, ist nicht von der Hand zu weisen.
Erst jüngst, im Januar 1912, ließ der bekannte schwedische Forscher Sven
Hedin an seine Landsleute Tausende von Flugblättern verteilen, in denen
er sein Vaterland zur Kräftigung der Landesverteidigung auffordert, da
nach seiner Befürchtung Rußland, um sich einen Zugang zum Atlantischen
Ozean zu verschaffen, einen Vorstoß auf Schweden und Norwegen plane. In
ähnlichem Sinne spricht sich Hettner aus. Er sagt: "Bedeutsam weist
ein schmaler Streifen russischen Gebiets wie ein ausgestreckter Finger auf
Tromsö hin. Nicht ohne Grund fürchtet Norwegen, daß Rußland einst bis
zur Küste vorstoßen und Finnmarken einverleiben möchte. Denn auch
dieser nördliche Teil der Skandinavischen Westküste hat trotz seiner
hohen Breite ein milderes Klima als das Weiße Meer und auch als der
Bottnische und der Finnische Meerbusen; seine Häfen sind immer eisfrei.
Der Besitz dieser Küste und die Anlage eines Kriegshafens würde Rußland
eine gute strategische Stellung am Atlantischen Ozean gewähren, die
seinen Kriegsschiffen den gefährlichen Umweg um das Nordkap oder den
leicht zu verschließenden Durchgang durch Sund, Kattegat und Skagerak
ersparte. Auch wirtschaftlich wäre der Erwerb wichtig, weil er Rußland
die Teilnahme an den ertragreichen nördlichen Fischereien ermöglichen würde".
Aber auch bei einem Kriege mit Deutschland hält es Rußland für
wahrscheinlich, daß die Südküste Finnlands zum Schauplatz militärischer
Operationen wird, da es mutmaßt, daß Deutschland hier Truppen landen
werde, entweder zu dem Zwecke, St. Petersburg von der Nordseite her zu
bedrohen, oder wenigstens mit der Absicht, durch das Auftreten starker
deutscher Kräfte einen ansehnlichen Teil der russischen Truppen des Militärbezirkes
St. Petersburg zu binden und vom Hauptkriegsschauplatz fernzuhalten. |