Die russischen Grenzgebiete in ihrer Eigenschaft als Kriegsschauplätze 

 

Europäisches Rußland

Das Küstenland des Schwarzen Meeres mit der Halbinsel Krim

Das Schwarze Meer
Das Schwarze Meer ist im Vergleiche zur Ostsee tief (bis 2240 m), warm und von höherem Salzgehalt. Für die Landungsverhältnisse wichtig sind die sogenannten "Limane". Philippson schreibt darüber: "Die russische Küste der Bucht von Odessa und des Asowschen Meeres ist der niedrige Steilrand der Steppentafel, vor dem sich ein Sandgeröllstrand hinzieht, den die Wellen aufgeworfen haben; stellenweise löst sich dieser Strand als Nehrung von dem Festlande ab. Die Flußmündungen sind durch Senkung in trichterförmige Buchten, die Limane, verwandelt, die ebenfalls von den niedrigen Steilufern der Tafel eingefaßt werden; auch diese Mündungstrichter werden durch den Sandstreifen vom Meere getrennt, viele ganz, andere bis auf eine schmale Einfahrt; in den abgeschlossenen Limanen wird Salz in Salzgärten gewonnen; die vom Meere ans zugänglichen bieten die einzigen natürlichen Häfen dar, in die aber nur kleinere Schiffe einlaufen können."
Da die Nordküste im Winter nur wenige Wochen vereist und weder Riffe noch Untiefen vorhanden sind, so ist die Schiffahrt fast das ganze Jahr hindurch möglich, erschwert wird sie nur im Frühjahr und Herbst - zuweilen auch im Winter - durch heftige Stürme.
Die Anzahl guter, für tiefgehende Schiffe brauchbarer Häfen ist verhältnismäßig gering, im europäischen Küstenteil nur Odessa, Sewastopol und Feodosia.
Für Rußland ist das Schwarze Meer namentlich in wirtschaftlicher Beziehung von höchster Bedeutung, denn fast zwei Drittel seiner Ausfuhr (Getreide, Naphtha usw.) nehmen diesen Weg.
Außer Rußland grenzt noch Rumänien, Bulgarien und die Türkei an das Schwarze Meer, das durch den schmalen Bosporus mit dem Marmarameer und durch dieses und die Dardanellen mit dem Ägäischen Meere verbunden ist. Nach dem Dardanellenvertrage dürfen von den angeführten Mächten nur die Türkei und Rußland Kriegsflotten im Schwarzen Meere halten, aber Rußland hat nicht das
Recht, dieses Meer mit seinen Kriegsschiffen zu verlassen und durch die Dardanellen das Mittelmeer aufzusuchen.
Immerhin ist das Schwarze Meer auch in militärischer Beziehung für Rußland nicht ohne Bedeutung, denn:
1. es gibt Rußland die Möglichkeit, an den Küsten Rumäniens, Bulgariens, der Europäischen wie der Asiatischen Türkei Truppen zu landen;
2. bei einem Kampfe mit der Türkei in Kleinasien erfolgt die russische Zufuhr über das Schwarze Meer; Truppenausschiffungen im Rücken der türkischen Armee sind möglich;
3. aber auch die Türkei ist imstande, auf dem russischen Ufer Truppen zu landen; daß hierfür nur wenige Punkte in Frage kommen, wird später erörtert werden.

Das Asowsche Meer
Das sehr seichte Asowsche Meer (nicht über 14 m tief, in den nördlichen Teilen nur 4-6 m) weist an seinen Küsten sehr viele die Schiffahrt behindernde Inseln und Sandbänke auf. Das Meer ist im allgemeinen nur kleineren Schiffen zugänglich, da plötzlich auftretende, heftige Schwankungen des Wasserstandes in dem seichten Gewässer große Fahrzeuge sehr gefährden. Im Winter gefriert ein bedeutender Teil des Meeres zu. Da die einzige Zufahrtsstraße durch die Festung Kertsch gesperrt ist, so sind feindliche Unternehmungen gegen die Küsten des Asowschen Meeres so gut wie ausgeschlossen. Der einzige Ankerplatz für große Fahrzeuge ist Genitschesk am Westufer.

Die Küste
von der Donaumündung bis zum Kirkinitbusen.
Die sich längs der Küste hinziehenden Sandbänke machen ein Anlaufen großer Schiffe unmöglich; nur an zwei Stellen ist die Zufahrt offen: in der Bucht von Odessa und im Dnjepr - Bug - Liman. Diese Zugangsstraße ist durch die Befestigungen von Otschakow und Kinburn gesperrt. Auch die Mündungstrichter der kleineren Wasserläufe, wie des Kujalnik und des Beresanski bieten Ankerplätze für Schiffe mittlerer Größe.
Das zum Meere steil abfallende Küstenland gehört dem südrussischen Steppengebiet an, das hier durch zahllose Wasserrisse und Schluchten zerklüftet und daher für Truppen stellenweise schwer gangbar ist. Im übrigen ist das Gelände durchaus offen: Wälder, Seen und Sümpfe fehlen vollständig.

Flüsse
Folgende Flüsse gehören in ihrem Mündungsgebiete dem Kriegsschauplatze an:
1. die Donau, deren nördlichster Delta-Arm (Kilja) die Grenze gegen Rumänien bildet; er hat eine Breite von 7-800 m und eine Tiefe von 2-40 m;
2. der Dnjestr; er ist in seinem Unterlaufe streckenweise von Sümpfen begleitet;
3. der südliche Bug, der hier bedeutende Tiefe und Breite aufweist. Beide Flüsse stellen ernstliche militärische Hindernisse dar.
4. Der Dnjepr erreicht in seinem Unterlauf eine Breite von 4-500 m und eine beträchtliche Tiefe (bis 10 m), die aber an einer Stelle zwischen Chersson und dem Liman, wo sich der Fluß in mehrere Arme teilt, bis auf 22 in zurückgeht.
Truppenverschiebungen längs der Küste sind durch erwähnte Flußläufe wesentlich erschwert.

Klima
Das Klima im Küstenstrich ist wenig günstig für militärische Unternehmungen, denn einen großen Teil des Jahres über fehlt ein notwendiges Element: das Wasser. Nur im Frühjahr gehen heftige Regengüsse nieder und machen zahlreiche Schluchten und Risse zu Hindernissen. Der Sommer ist meist sehr schwül, der Winter schneearm.
Eisenbahnen und Wege.
Für die Verbindung aus dem Inneren Rußlands nach den wichtigsten Küstenplätzen des Schwarzen und Asowschen Meeres ist in hinreichendem Maße gesorgt; die Endpunkte dieser Bahnlinien an oder in der Nähe der Küste sind Rostow, Asowscher Hafen, Mariupol, Berdiansk, Genitschesk, Chersson, Nikolajew, dann auf der Krim Kertsch, Feodossia, Sewastopol, und an der rumänischen Grenze Reni.
Wenig vorteilhaft für die russischen Truppenversammlungen ist, daß Eisenbahnverbindungen längs der Küste fehlen, wenn man von der kurzen Strecke Nikolajew - Chersson absieht.
Das Netz der Landwege ist gut entwickelt, die Wege selbst sind dank des günstigen Untergrundes zu allen Jahreszeiten gangbar.

Bevölkerung
Wenn die großen Städte wie Odessa, Nikolajew, Chersson außer Betracht gelassen werden, ist die Bevölkerungsdichte im Küstenstrich gering -. etwa 35 Einwohner auf 1 QW- Die bewohnten
Plätze sind dünn gesät: 1 auf 19 QW, die Dörfer ziemlich groß, durchschnittlich 35 Höfe. Neben Russen bewohnen Rumänen, Juden und Deutsche das Gebiet. Wenn man von Bessarabien absieht, wo die Rumänen mehr als die Hälfte der Einwohnerschaft ausmachen, bilden etwa drei Viertel der Gesamtbevölkerung die Russen.

Bodenerzeugnisse und Industrie
An natürlichen Erzeugnissen ist das Gebiet sehr reich; Getreide ist im Überfluß vorhanden, ebenso Schlachtvieh. Auch der Pferdebestand ist verhältnismäßig hoch: 18 auf 100 Einwohner. Odessa, der Handelsmittelpunkt des Kriegsschauplatzes, besitzt große Getreideniederlagen und Fabriken aller Art; Nikolajew, Kriegs- und Handelshafen, ist mit seinen Werften und umfangreichen Getreidelagern der zweitwichtigste Ort des Gebietes.

Militärische Bedeutung des Küstengebietes
Odessa und Nikolajew werden voraussichtlich das erstrebenswerteste Ziel feindlicher Landungstruppen sein (Gewinnung der reichen Odessaer Vorräte, Vernichtung der Nikolajewer Werften).
Außerdem sind auch Landungen denkbar zu dein Zwecke, gegen die Flanke der den Dnjestr oder Dnjepr etwa verteidigenden Russen zu operieren. Sollten diese gegen Rumänien vordringen, so sind Unternehmungen durch ausgeschiffte feindliche Truppen gegen die russischen Verbindungslinien im Bereich der Möglichkeit. Allerdings sind die Landungsverhältnisse wenig günstig, denn große Kriegsschiffe können nur an zwei Plätzen vor Anker gehen: in der Bucht von Odessa und im Dnjepr - Bug - Liman, der aber durch die Befestigungen von Otschakow und Kinburn gesperrt ist.
Weitere Ausschiffungsplätze für kleinere und mittlere Fahrzeuge finden sich bei den in der Nähe von Odessa liegenden Limanen.


Die Halbinsel Krim

Die Halbinsel Krim, im Norden durch die nur wenige Werst breite Landzunge des Perekop mit dem Festlande verbunden, hat die Gestalt eines nach Osten in die Länge gezogenen Viereckes; sie wird im Nordwesten eingeschnürt durch die Kirkinitbai, im Nordosten durch das Faule Meer oder "Siwasch", ein Gemenge von flachen Inseln und Sandbänken. Trotz der reichen Gliederung weist die Küste nur wenige gute Hafenplätze auf, denn bei einem großen Teil des Strandes (im Nordosten und Nordwesten) behindern Sandbänke die Schifahrt in hohem Maße.
Der beste Hafen ist der durch Festungswerke geschützte von Sewastopol, gute Ankerplätze bietet auch die Bucht von Balaklawa
(im Krimkriege Hauptstützpunkt der Engländer), während der Hafen des nördlich von Sewastopol gelegenen Eupatoria Untiefen besitzt und heftigen Winden ausgesetzt ist. Letzteres ist auch der Fall bei den an der steilen Südostküste liegenden Hafenplätzen Jalta, Aluschta und Feodossia. Am Eingang zum Asowschen Meere liegt der Handelshafen Kertsch mit der zwölf Werst weiter östlich gelegenen alten Festung Jenikale und der 3 ½ Werst südöstlich entfernten neuen Festung Paul.

Oberflächengestalt
Die Krim besteht aus zwei ganz verschiedenen Teilen: während der größere nördliche Teil sich als eine dürre, baumlose Steppenebene zum Perekop hinzieht, erhebt sich im Süden der Straße Simferopol - Feodossia in einer Breitenausdehnung von etwa 170 Werst ein Faltengebirge, dessen höchste Erhebung 1528 m beträgt. Dieses Gebirge, der Jaila-Dag, ist ein Teil des Kaukasus, von diesem durch Einbruch des nördlichen Schwarzen Meeres getrennt. Die südlichen Abhänge fallen steil zum Meere ab, nur einen schmalen Küstenstreifen freilassend, der üppigen Pflanzenwuchs zeigt und dicht bevölkert ist (die russische "Riviera"). Im Norden fällt das Gebirge sanft zur Steppe ab.
Über das meist mit Wald bedeckte Bergland, das im übrigen für Truppen schwer gangbar ist, führen drei Fahrstraßen:
1. die Chaussee im Tal des Belbek nach Jalta,
2. die Chaussee Simferopol - Aluschta,
3. die Poststraße im Sudak-Tale nach dem Orte Sudak.
Der ebene Teil der Krim ist waldlos, wasserarm und im Norden und Nordwesten mit Salzseen bedeckt. Die bedeutendste Wasserader in der Ebene, der Salgir, trocknet im Sommer häufig aus, während die aus dem Gebirge der Westküste zuströmenden Flüsse: Alma, Katscha, Belbek und Tsehornaja den Charakter von Bergwässern besitzen.

Bevölkerung
Die Bevölkerung der Krim ist sehr ungleich verteilt: während im Süden durchschnittlich 50 Einwohner auf die QW kommen,. treffen auf diese im Norden nur etwa 12. Ein großer Bruchteil der Bevölkerung (45 %) wohnt in Städten.
Die Hauptmasse der Bewohner bilden die Tataren (45 %), dann folgen die Russen mit 38 %, die Deutschen mit 5 %, die Juden und Armenier mit je 3 %.
Ackerbau und Viehzucht sind die Haupterwerbszweige, dazu kommt. im Süden, Gartenbau, im Norden Fischerei. Eine Bedeutung
für den Handel besitzt heute die Krim nicht mehr, da der Verkehr die weiter nordwärts gelegenen Häfen bevorzugt, um den Landweg abzukürzen.
Wenn auch die natürlichen Erzeugnisse für die Bevölkerung hinreichen, so ist doch kein derartiger Überschuß vorhanden, daß im Kriegsfalle größere Truppenmassen nicht auf die Zufuhr angewiesen wären.

Eisenbahnen
Die über den Perekop von Norden heranführende Eisenbahn verläuft über Simferopol nach Sewastopol, eine Zweigbahn von Dshankoi nach Feodossia und Kertsch.
Chausseen und Verbindungswege sind nur wenige vorhanden; die über das Gebirge führenden fanden schon Erwähnung.

Militärische Bedeutung der Krim
Dank ihrer Hafenplätze eignet sich die Krim - besonders im Vereine mit Odessa und Nikolajew - als Basis für russische Streitkräfte, die in offensiver Absicht das Schwarze Meer durchqueren wollen.
Ein wertvolles Angriffsziel für den Gegner kann, wie 1854-56, der wichtige Seehafen Sewastopol und die dort etwa versammelte russische Flotte bilden. Für feindliche Landungen kommt in erster Linie das schmale Stück Sewastopol - Balaklawa in Betracht, weniger die Südostküste, da dem weiteren Vordringen ins Innere hier das Gebirge im Wege steht, ebensowenig der Nordwesten, wo Untiefen und Sandbänke die Landung erheblich erschweren. 
Was die russischen Seestreitkräfte anlangt, so besteht z. Z. die Schwarzmeerflotte aus 5 Linienschiffen, 2 geschützten Kreuzern, 5 ungeschützten Kreuzern, 17 Torpedobootszerstörern, 17 Torpedobooten und 5 Unterseebooten. Nach dem kürzlich genehmigten Flottenbauprogramm vom Jahre 1912 sollen die russischen Seestreitkräfte im Schwarzen Meere mindestens das 1½ fache der benachbarten Staaten bilden; die russische Flotte wird daher bis 1916 um 2 geschützte Kreuzer und mehrere Unterseeboote verstärkt werden.
Außerdem ist geplant, die Zufahrt des Hafens von Nikolajew auf 9 m zu vertiefen, desgleichen den für die Kohlenausfuhr wichtigen Hafen von Mariupol, ferner den Handelshafen von Sewastopol nach der Strjelezka-Bucht zu verlegen.

 

Allgemeiner Überblick über Russland in militär-
geographischer Beziehung

1. Kurzer Überblick über Lage und Grenzen des Russ. Reiches
2. Bevölkerung
3. Verwaltung
4. Volkswirtschaft (Landwirtschaft, Viehzucht, Gewerbe, Industrie)
5. Verkehrswesen (Wasserstraßen, Landwege, Eisenbahnen)
6. Das Russische Heer

 

Die russischen Grenzgebiete in ihrer Eigenschaft als
Kriegsschauplätze

Europäisches Rußland

1. Der vordere Kriegsschauplatz (Polen)
2. Der nordwestliche Kriegsschauplatz
3. Das Küstengebiet von Riga bis St. Petersburg
4. Finnland
5. Das Poljessje
6. Der südwestliche Kriegsschauplatz
7.
Das Küstenland des Schwarzen Meeres mit der Halbinsel Krim

Asiatisches Russland

8. Der Kaukasus 
9. Turkestan 
10. Ost-Sibiren (Trans-Baikalien, Amurgebiet und Küstengebiet)

 

HAUPTSEITE

Textquelle: 
Kurze militär-geographische Beschreibung Russlands
von L. Schmidt
Hauptmann und Kompagniechef im k. bayr. 7. Inf. Regt. Prinz Leopold
Militär-Verlag von Zuckerschwerdt & Co.
Berlin 1913