Die russischen Grenzgebiete in ihrer Eigenschaft als Kriegsschauplätze 

 

Asiatisches Russland

Der Kaukasus

Lage und Grenzen
Im Norden wird der Kriegsschauplatz begrenzt durch den Hauptkamm des Kaukasus, im Westen durch das Schwarze Meer, im Osten durch das Kaspische Meer und im Süden durch die Reichsgrenze gegen die Türkei (5220 Werst) und gegen Persien (600 Werst).

Die Küsten
Die den westlichen Abschluß bildende Küste des Schwarzen Meeres erstreckt sich ohne Gliederung, fast geradlinig von Nordost nach Südwest. Auf der über 550 Werst langen Strecke von Anapa bis zur Tschoroch-Mündung schneidet nur eine Bucht ins Land ein, die von Noworossisk; sie bildet den besten Hafenplatz. Im übrigen ist die Küste sehr arm an Ankerplätzen, denn zwischen Anapa und Sukum-Kale ist sie von steilen Felswänden begleitet und im weiteren Verlaufe wird sie bei sehr seichtem Küstengewässer flach, stellenweise sumpfig. Anlegeplätze der Dampfer des Schwarzen Meeres sind außer Noworossisk noch Poti und Batum. Für militärische Ausschiffungen kommt vor allem die Gegend von Anapa, Noworossisk und Tuapse in Betracht, denn von diesen Plätzen aus führen Wege durch den gangbarsten Teil des Kaukasus ins Landinnere gegen den Rücken des Kriegsschauplatzes, während auf dem übrigen Teil der Küste entweder unwegsame Gebirgszüge oder die sumpfigen Niederungen des Rion-Flusses den Einmarsch verhindern oder wenigstens sehr erschweren.
Im Kaspischen Meere ist Rußland unumschränkter Herrscher, da Persien über keine Seestreitkräfte verfügt. Persien wird daher kaum verwehren können, daß russische Transportschiffe Truppen an der persischen Südküste landen, wenn eine Unternehmung auf Teheran geplant ist. Die geeignetsten Ausschiffungsplätze finden sich im Enseli- und Astrabad-Busen. Die russische Flottille des Kaspischen Meeres besteht aus 2 Kanonenbooten, 2 Torpedobooten, 1 Aviso, 1 Transportschiff und 2 Hafenschiffen.


Oberflächengestalt
Der Kriegsschauplatz wird ausgefüllt im Norden durch den etwa 1500 km langen Wall des Kaukasusgebirges und im Süden durch die nördlichen Ausläufer des Armenischen Berglandes, den sogenannten "Kleinen Kaukasus"; als Trennungslinie zwischen beiden kann das Tal des Rion (Unterlauf) und der Kura gelten.
Das Hochgebirge des Kaukasus, das gewaltige, mit ewigem Schnee bedeckte Höhen aufweist (über 5000 m), muß in militärischem Sinne natürlich als Hindernis allerersten Ranges angesehen werden; nur wenige Paßstraßen verbinden das nördlich des Gebirges liegende Gebiet (Ciskaukasien) mit dem südlichen (Transkaukasien). Der von Nordwesten nach Südosten gerichtete Zug des Gebirges ist ein dreifacher, denn neben dem Hauptstrange sind die Ränder der Erhebungsspalte (Kalkgebirge) stehen geblieben. Gegen die Mitte treten die drei Parallelgebirge am deutlichsten hervor, während sie nach den Enden zu in einen Strang verschmelzen. Die durch Querriegel mit den Vorketten verbundene Hauptkette hat eine durchschnittliche Höhe von 3000 m.
Man kann den Kaukasus in folgende Abschnitte teilen:
1. Kaukasus des Schwarzen Meeres von Taman (an der Straße von Kertsch) bis zum Fluße Tuapse. Dieser fast gleichlaufend zur Küste streichende Gebirgszug erreicht nirgends die Schneegrenze; die zum Meere abfallenden Hänge sind größtenteils mit Wald bedeckt. Zwei Bahnen schneiden diesen Teil des Gebirges: die Linie Tichoriezkaja - Noworossisk und die im Bau befindliche Strecke Armawir - Tuapse, ferner die Chausseen Jekaterinodar - Noworossisk und Tuapse- Maikop, sowie der Verbindungsweg Dshubga - Jekaterinodar.
2. Der Kuban-Kaukasus vom Tuapse bis zum Gebirgsstock des Elbrus. Dieser Teil zeichnet sieh im Gegensatz zum vorerwähnten durch bedeutende Höhen und große Unwegsamkeit namentlich im östlichen Teile aus. Hier, wo fast überall die Schneegrenze überschritten wird, teilt sich das Gebirge in viele Verästelungen. Nur ein Fahrweg fährt in diesem Abschnitte über das Gebirge: der Verbindungsweg von Stawropol über den Kluchorpaß nach Suchum-Kale.
3. Es folgt nun der Terek-Kaukasus, der sich vom Elbrus (5615 m) bis zum großen Barbalo (3293 m) hinzieht und die größten Erhebungen, die gewaltigsten Gletscher des Hauptkammes enthält. Über diesen, die Mitte des Gebirges einnehmenden Teil führen die zwei wichtigsten Paßstraßen: die Ossetische Heerstraße von Wladikawkas über den Mamisson-Paß nach Kutais und die bekanntere 200 km lange Grusinische Heerstraße von Wladikawkas über den Kreuzberg (Krestowaja Gora) nach Tiflis. Schon seit einigen Jahren plant die russische Regierung diese Paßstraße durch eine Eisenbahn zu ergänzen.
4. Östlich und südöstlich an den Terek-Kaukasus schließt sich das Daghestan-Gebirge an (vom Barbalo bis zum Schach-Dagh). Das namentlich im Norden reich gegliederte und zerklüftete Gebirge enthält keine solch gewaltigen Erhebungen wie der mittlere Kaukasus und Gletscher finden sich nur im westlichsten Teile vor.
Es führen 5 Pässe über diesen Abschnitt, aber nur 3 derselben sind für Fahrzeuge benutzbar, nämlich der Kodor-Paß (Straße nach Telaw), der Wantlischet-Paß (ebenfalls nach Telaw) und der Salawat-Paßweg nach Nucha.
5. Den südöstlichen Abschluß des Gebirges bildet der Kaspische Kaukasus vom Schach-Dagh bis zur Halbinsel Apscheron. Die im Nordwesten noch bedeutenden Höhen flachen sich nach Südosten ab. Fahrbare Paßstraßen fehlen und sind hier auch fast entbehrlich, da die nahe Bahnlinie über Baku den Küstenstreifen mit Transkaukasien verbindet.
Von den vorstehend erwähnten Gebirgsstraßen sind die im Westen gelegenen für militärische Zwecke noch am besten brauchbar, denn die zu überwindenden Steigungen sind vergleichsweise nur gering und die Wege in der Regel zu allen Jahreszeiten zu benutzen; bei den im Osten gelegenen Pässen ist dies nicht der Fall: sie sind häufig im Winter ungangbar, selbst die Grusinische Heerstraße, im übrigen eine der besten Chausseen Rußlands, ist zu dieser Zeit wegen der Lawinengefahr und der Felsstürze gefährlich. Außerdem beansprucht die Überquerung des Gebirges selbst auf guten Paßstraßen erhebliche Zeit, braucht doch schon der Tourist von Wladikawkas über den Mamisson-Paß nach Kutais zu Wagen 5 Tage. Die Dringlichkeit der Erbauung einer Eisenbahn zwischen Wladikawkas und Tiflis wird daher stets von neuem betont, auch das Projekt einer Küstenbahn längs des Nordostufers des Schwarzen Meeres ist aufgetaucht.
Der Kleine Kaukasus, auch Anti-Kaukasus genannt, hängt durch das Suram-Gebirge, durch welches die Bahnlinie Kutais - Tiflis mittels eines Tunnels durchgeführt ist, mit dem großen Kaukasus zusammen. Seine Längenachse von Nordwest nach Südost beträgt etwa 500 Werst, die größte Breite rund 1200 Werst. Er ist im allgemeinen zugänglicher als der Große Kaukasus und nur zwei seiner Gipfel, der große Ararat (5160 m) und der Alagos (4098 m) steigen über die Schneegrenze hinaus.
Am unwegsamsten durch ihre steilen und bewaldeten Hänge sind die westlichsten Teile des Kleinen Kaukasus, die Berge von Adschary, Achalzich und Trialet. Über diesen Abschnitt führen zwei Fahrwege: die Straße Kutais - Achalzich über den Sikar-Paß und die Straße Gori - Achalzich - Achalkalaki durch die Borshom-Schlucht.
Von den Trialet-Bergen ziehen sich nach Südosten zwei parallele Ketten hin: die westliche umfaßt die Mokrye-, die Mischanskije-, die Akmanganskije-, die Polatapinski-Berge und den Sangesur-Rücken, die östliche die Somehet-Berge und die Ganschin-Höhen mit dem ihnen gleichlaufenden Schach-Dagh Rücken und den Karabach-Bergen. Eine Reihe von Querverbindungen zieht sich zwischen den genannten Ketten hin, deren westliche und südliche Gruppen im allgemeinen steiler und unwegsamer sind als die im mittleren Teile; besonders zerklüftet und schwer zugänglich sind die Karabach-Berge.
Fahrwege sind in vorerwähnten Gebieten mehrere vorhanden, namentlich im mittleren Abschnitt; die wichtigsten sind: der Verbindungsweg Tiflis-Gori-Borshom, von wo Wege nach Achalkalaki und Achalzich abzweigen; ferner die Chaussee Tiflis - Woronzowka - Alexandropol, die Chaussee Tiflis - Eriwan (durch die Delishan Schlucht und über den Semenow-Paß), endlich die Verbindungswege Jelisawetpol - Eriwan und Schuscha- Nachitschewan.
Südwestlich von den Trialet-Bergen erstreckt sich eine Reihe von Gebirgsketten gegen die türkische Grenze hin: zu beiden Seiten des Oberlaufes der Kura die Arsijan- und Tschaldir-Berge, letztere mit ihrer südlichen Abzweigung, dem Saganluk. Im Süden grenzt das russische Gebiet gegen die Türkei der Gebirgsstock des Agridagh ab, der im Osten mit dem Großen Ararat endigt. Die zuletzt genannte Gebirgskette ist neben dem Arsijan die am schwersten zugängliche. - In ihrer Gesamtheit bilden die vorerwähnten, den Südwestteil des Kriegsschauplatzes einnehmenden Gebirge wirksame militärische Hindernisse gegenüber einem feindlichen Einfall aus der Türkei.
Der Kleine Kaukasus wird nur von einer Eisenbahnlinie durchschnitten, der Strecke Tiflis - Alexandropol. Die militärische Bedeutung des Kleinen Kaukasus ist darin zu erblicken, daß seine namentlich im Westen und Südosten schwer zugänglichen Berge die Täler des Rion und der Kura und damit auch Tiflis, den wichtigsten Punkt des Gebietes, gegen die Türkei zu schützen. Bei einem russischen Vormarsch gegen Persien von Jelisawetpol und Eriwan aus trennt das unwirtliche Gebirge im Südosten (Karabach) beide Heeresteile.
Wie erwähnt, sind die Berge des Großen und des Kleinen Kaukasus durch einen Riegel, den Suram, miteinander verbunden. Dieser steile und bewaldete Rücken sperrt in wirksamer Weise den Zugang nach Tiflis vom Schwarzen Meere her.

Flüsse
Von den Flüssen nimmt den ersten Platz die Kura ein. Sie entspringt südlich von Ardahan, fließt in einem nach Westen geöffneten Bogen in das Tal von Achalzich, hierauf durch die enge Schlucht von Borshom, um sodann nach einer Wendung in östlicher Richtung Gori und später Tiflis zu erreichen, von wo sie sich in dem sich immer mehr verbreiternden Tale in südöstlich gerichtetem Laufe dem Kaspischen Meere zuwendet. Die Kura, die bei Tiflis eine Breite von etwa 100 m erreicht, ist von Jewlach an schiffbar; im Oberlaufe wird sie von zahlreichen Brücken überquert, während unterhalb Tiflis nur mehr zwei Eisenbahnbrücken den Fluß schneiden.
Von den linken Nebenflüssen seien erwähnt die Aragwa, in deren Tal ein Teil der Ossetischen Heerstraße verläuft, ferner die Jora mit dem Alasan, die ein fruchtbares und dicht bevölkertes Gebiet durchströmen. Größere Bedeutung hat ein rechter Zufluß, der Arax. Er entspringt in der Asiatischen Türkei (östlich von Erzerum), wendet sich nach dem Überschreiten der russischen Grenze nördlich des Grenzgebirgsstockes des Agridagh nach Osten und bildet so eine zweite Hindernislinie auf dem Wege von der Türkei nach Transkaukasien. Im weiteren Verlaufe - fast, bis zu seiner Einmündung in die Kura - bildet der Arax die Grenze zwischen Rußland und Persien; auf dieser Strecke hat er allerdings kaum den Charakter eines Hindernisses, da er an zahlreichen Stellen durchfurtbar ist.
Der Rion entspringt im mittleren Teil des Kaukasus, tritt bei Kutais aus dem Gebirge und fließt dann in einem breiten, stellenweise sumpfigen Tale dem Schwarzen Meere zu. Nur die kurze etwa 40 Werst lange Strecke von Orpiri bis zur Einmündung bei Poti ist schiffbar. In seinem Oberlaufe hat der Rion den Charakter eines echten Gebirgswassers, im Unterlaufe erreicht das ruhig dahinfließende Gewässer eine Breite von 200 m, sodaß er hier mit seinen sumpfigen Uferstrecken als ernsthaftes Hindernis auf den Wegen von Batum nach Kutais gelten muß.
Was die militärische Bedeutung der vorgenannten und der übrigen kleineren Gewässer des Kriegsschauplatzes anlangt, so sind deren Ausmaße nach Breite und Tiefe im allgemeinen wohl gering; immerhin bilden sie stellen- und zeitweise ernstliche Hindernisse:
die Gebirgswässer infolge ihrer heftigen Strömung und der tief eingerissenen Täler, die in der Ebene dahinfließenden durch die häufigen, oft unerwartet auftretenden Überschwemmungen. Als Kommunikationslinien kommt ihnen keine Bedeutung zu.

Wälder und Sümpfe
An Wäldern ist das Gebiet außerordentlich reich; namentlich im Gebirgsland des Großen und des Kleinen Kaukasus erstrecken sich ungeheure Waldungen bis in die Talsohle herab und erschweren so die Gangbarkeit. Auch das sumpfige Ufergebiet des Rion ist reich an Wäldern. Sümpfe sind im übrigen nur sehr wenige vorhanden, im allgemeinen nur im Mündungsgebiete der dem Schwarzen Meere zuströmenden Wasserläufe.

Klima
In den Tälern zwischen dem Großen und dem Kleinen Kaukasus ist das Klima bedeutend wärmer als in den übrigen Teilen des Kriegsschauplatzes. Im Westen, im Riontale, herrscht die Feuchtigkeit vor, während im Osten des Suram-Gebirges die trockene Hitze einen außerordentlichen Grad erreicht; gegen das Kaspische Meer zu nimmt die Feuchtigkeit wieder überhand. Der Winter ist namentlich im Gebirge sehr rauh, die Übergänge sind schroff und unvermittelt.
Für militärische Unternehmungen muß das Klima im allgemeinen als ungünstig bezeichnet werden, denn die kalten Nächte erfordern besondere Schutzmaßregeln; außerdem ist in gewissen Bezirken Vorsieht geboten, denn an der ganzen Küste des Schwarzen Meeres, im Tal des Rion der Kura und des Arax herrscht Fieber: auch Aussatz und die sogenannte Sartische Krankheit ist anzutreffen.

Bevölkerung
Die durchschnittliche Bevölkerungsdichte ist gering: nur etwa 30 Menschen auf die QW. Wie es bei dem gebirgigen Charakter des Kriegsschauplatzes natürlich ist, ist die Bevölkerung sehr ungleich verteilt: die Ansiedelungen häufen sich in den fruchtbaren Talstrecken, während große Bezirke im Hochgebirge ganz unbewohnt sind. Am dichtesten ist die Bevölkerung im Tale des Rion, der mittleren Kura und des mittleren Arax (Gouvernement Kutais, Tiflis und Eriwan), am schwächsten bevölkert ist das Gouvernement des Schwarzen Meeres und der Hauptkamm des Großen Kaukasus. Es treffen auf 1 QW in den Gouvernements Kutais 51,5, Tiflis 31,1, Eriwan 38,1 und Schwarzmeer 13,1 Menschen.
Über die Zusammensetzung der Bevölkerung nach Nationalitäten gibt nachstehende Tabelle Aufschluß (in Prozenten):

Gouvernement Russen Tataren Kartwelier Bergvölker Armenier
Baku 9 59 - 3 6
Jelisawetpol 2 61 - 3 33
Kars - Gebiet  10 36 - - 25
Kutais 2 5 82 6 2
Tiflis 8 13 45 4 19
Schwarzmeer 60 2 3 4 11
Eriwan 2 38 - - 53

Unter Kartweliern, die hauptsächlich im Westen des Gebietes ansässig sind, versteht man in erster Linie die Stämme der Grusinier, Imerretiner, Lasen, Mingrelier und Swaneter. Die Armenier sind besonders im Osten anzutreffen, die Russen, die in manchen Bezirken nur 2%, der Bevölkerung ausmachen, sind in größerer Zahl angesiedelt im Kars-Gebiet, wo längs des Weges Saganlug - Alexandropol einige größere russische Kolonien liegen und ferner im Schwarzmeer - Gouvernement, wo sie 60 % der Bevölkerung bilden. Im Südosten leben Tataren und längs der persischen Grenze sowie an der Küste des Kaspischen Meeres Perser. Die im Großen Kaukasus ansässigen Bergvölker setzen sich aus den Tscherkessen, Leszinen, Tschetschenzen u. a. zusammen.
Neben den Russen sind auch die Kartwelier orthodoxen Glaubens; die Armenier bekennen sich zur Armenisch-Gregorianischen Kirche, die Tataren, die Bergvölker und die Perser sind Mohammedaner.
Im großen und ganzen ist die Zusammensetzung der Bevölkerung wenig günstig für Rußland, denn viele der Nichtrussen sind in nationaler Beziehung nicht nur gleichgültig, sondern geradezu russenfeindlich; sie würden im Kriegsfalle sicherlich eine feindselige Haltung einnehmen und den Russen bei Behauptung ihrer rückwärtigen Verbindungen zu schaffen machen.
Die Unterkunftsverhältnisse sind schlecht; die Ansiedelungen liegen weit auseinander (verhältnismäßig am besten sind in dieser Beziehung die Gouvernements Tiflis, Kutais und das Kars-Gebiet, wo etwa eine Ansiedelung auf weniger als 20 QW trifft). Die Dörfer sind meist klein und bieten wenig Bequemlichkeit, so daß stärkere Truppenmassen häufig auf das Biwak angewiesen sein würden.

Volkswirtschaft
Die Hauptbeschäftigung der Landbevölkerung bildet die Viehzucht, daneben wird aber in den Tälern auch Ackerbau getrieben und zwar in einem solchen Umfang, daß die Ernte nicht nur für die einheimische Bevölkerung hinreicht, sondern daß in der Regel sogar ein Überschuß an Getreide verbleibt. Fleisch und Mehl wird sich mithin für eine dort operierende Armee für eine gewisse Zeitspanne vorfinden; an Pferden ist das Gebiet sehr arm, dagegen sind vielfach Esel und Maultiere als Tragetiere anzutreffen.
Großer Mangel herrscht an Pferdefutter (Heu); man ist auf die, Grasfütterung angewiesen.

Eisenbahnen und Wege
An Eisenbahnen ist das Gebiet arm, namentlich die Verbindung aus dem inneren Rußland muß ungenügend genannt werden. Besser steht es mit der Querverbindung in westöstlicher Richtung vom Schwarzen zum Kaspischen Meere: von den Häfen Poti und Batum führt ein Schienenstrang über Gori, Tiflis und Jelisawetpol nach Baku, das durch die Küstenbahn über Petrowsk mit Wladikawkas verbunden ist. Militärisch wichtig ist die von Tiflis in südlicher Richtung nach Alexandropol abzweigende Bahn, die sich hier teilt: die eine Linie führt nach Kars, die andere zur persischen Grenze nach Dschulfa. Von der großen Querverbindung Batum - Baku gehen im übrigen nur einige kurze, unbedeutende Abzweigungen westlich von Tiflis in die Seitentäler, so nach Borshom, Suram u. a.; sie haben nur lokale Bedeutung.
Die für militärische Zwecke notwendige, sichere und rasche Verbindung Transkaukasiens mit dem Inneren Rußlands ist jedenfalls durch den derzeitigen Stand des Eisenbahnnetzes nicht gewährleistet, denn der gesamte Nachschub muß entweder den großen Umweg über Baku machen oder den Seetransport nach Poti oder Batum, wo dann die Umladung stattfinden müßte. Nur die Durchführung des schon lange entworfenen Planes der Erbauung der Kaukasusbahn Wladikawkas - Tiflis wird Rußland dort eine sichere Verbindung mit seiner Basis verschaffen.
Das Straßennetz ist wenig entwickelt, verhältnismäßig noch am besten im südwestlichen Teile gegen die Türkei zu. Die über den Großen Kaukasus führenden Paßstraßen, deren wichtigste die Ossetische und Grusinische Heerstraße sind, fanden bereits Erwähnung. Saumpfade sind im Gebirge in genügender Anzahl vorhanden; sie sind jedoch für militärische Fahrzeuge nicht benutzbar und nötigen zur Anwendung von Tragetieren (Gebirgsartillerie).
Da im Falle kriegerischer Verwicklungen zwischen der Türkei oder Persien und Rußland dieses infolge seiner unzweifelhaften militärischen Überlegenheit voraussichtlich zum Angriff schreiten wird, so gewinnen die Vormarschstraßen aus Transkaukasien gegen diese angrenzenden Staaten erhöhte Bedeutung.
Als Vormarschwege gegen die Türkei kommen in Betracht:
1. die Straße Ardagan - Olty - Erzerum. Sie ist in schlechtem Zustande, führt durch durchschnittenes Gelände und durch ein armes, fast ausschließlich von türkischer Bevölkerung besiedeltes Gebiet. Die Überwindung des Arsian-Gebirgsstockes verursacht große Schwierigkeiten. Sehr nachteilig für Rußland ist, daß weder Ardagan noch Olty durch eine Bahnlinie mit dem Rückengebiet verbunden ist.
2. Die Straße Kars - Erzerum ist der einzige chaussierte Weg zur türkischen Grenze; er führt durch ein verhältnismäßig stark von Russen besiedeltes Gebiet und hat nur ein ernstliches Hindernis zu überwinden: den Saganlug-Gebirgsstock. Die Bahnlinie geht bis zur Festung 3. Klasse Kars.*)
3. Die Straße Eriwan - Bajaset - Erzerum; der den Rücken des Agridagh überquerende Weg ist auch für Fahrzeuge benutzbar.
Von diesen drei, der wichtigen türkischen Festung Erzerum zustrebenden Wegen ist der über Kars der beste und kürzeste.
Über die persische Grenze führen zwei Wegeverbindungen:
1. Dschulfa - Täbris - Kaswin - Teheran. Die Bahnlinie führt bis zur persischen Grenze (Dschtilfa) heran. Als Hindernisse sind zu überwinden: der Arax, die Karadach-Höhen und einige gebirgige Ausläufer südlich von Täbris.
2. Lenkoran (am Kaspischen Meere) - Ardebil - Kaswin - Teheran. Dieser Weg führt in seiner ersten Hälfte durch sehr schwer gangbares Gelände (Elbursgebirge).
Beide Wege vereinigen sich bei Kaswin und führen dann ,durch reiches, dicht besiedeltes Gebiet ohne natürliche Hindernisse.

Militärische Bedeutung des Kriegsschauplatzes
Die an Kaukasien grenzenden Mächte, Persien und die Türkei, sind in militärischer Beziehung Rußland weit unterlegen. Rußland, das schon im Frieden drei starke Armeekorps in Cis- und Transkaukasien versammelt hält, kann daher dort - im Gegensatze zu anderen Grenzgebieten - mit Aussicht auf Gelingen die O f f e n s i v e für den Kriegsfall ins Auge fassen. Nur bei Rückschlägen oder bei einem Erfolg der türkischen Flotte im Schwarzen Meere könnte

*) Nach Gisser und Markow soll die Fortsetzung der Bahnlinie von Kars nach Sarykamysch schon in der Ausführung begriffen sein; die neueste russische Eisenbahnkarte (Winter 1911/12) enthält jedoch darüber keine Angaben.

Rußland vorübergehend die Defensive aufgedrängt werden, die in der gebirgigen Natur des Landes eine wesentliche Unterstützung fände. Daß Rußland jedoch nicht gewillt ist, sich auf die Verteidigung zu beschränken, geht schon daraus hervor, daß auf dem ganzen Kriegsschauplatz nur eine einzige Festung und zwar eine solche dritter Klasse (Kars) angelegt ist, wenn man von der Küstenbefestigung Michailowsk bei Batum absieht.
Der russischen Offensive aus Transkaukasien heraus nach Persien und der Türkei erwachsen freilich beträchtliche Schwierigkeiten durch das schwer gangbare Gebirgsland des Kleinen Kaukasus, durch das unzureichende Bahn- und Wegenetz, sowie durch die großenteils feindlich gesinnte Bevölkerung. Eine nicht zu unterschätzende Schwäche liegt in der schon erwähnten, zur Zeit noch bestehenden mangelhaften Verbindung Transkaukasiens mit dem Inneren Rußlands. An natürlichen Hilfsquellen ist das Land so reich, daß es eine dort versammelte Armee eine Zeitlang würde ernähren können.
Mit seinem Rivalen in Persien - England - hat sich Rußland im Jahre 1907 gütlich auseinander gesetzt (russisch-englischer Vertrag).*) Die beiderseitigen Interessensphären sind durch folgende Linien angedeutet:
Südgrenze der russischen Interessensphäre-. Kasr-i-Schirin - Zagha - Ispahan - Jesd - Tun.
Nordgrenze der englischen Interessensphäre: Bafd - Kirman - Jazdan. Der neutrale Streifen in der östlichen Hälfte beträgt nur 60 km.

*) Über die jüngsten Unruhen in Persien, die Russland zu Truppenentsendungen dorthin veranlaßten, geben einige bemerkenswerte Aufsätze im Streffleur 1912 (Januar- bis Juli-Heft) Aufschluß.

 

Allgemeiner Überblick über Russland in militär-
geographischer Beziehung

1. Kurzer Überblick über Lage und Grenzen des Russ. Reiches
2. Bevölkerung
3. Verwaltung
4. Volkswirtschaft (Landwirtschaft, Viehzucht, Gewerbe, Industrie)
5. Verkehrswesen (Wasserstraßen, Landwege, Eisenbahnen)
6. Das Russische Heer

 

Die russischen Grenzgebiete in ihrer Eigenschaft als
Kriegsschauplätze

Europäisches Rußland

1. Der vordere Kriegsschauplatz (Polen)
2. Der nordwestliche Kriegsschauplatz
3. Das Küstengebiet von Riga bis St. Petersburg
4. Finnland
5. Das Poljessje
6. Der südwestliche Kriegsschauplatz
7.
Das Küstenland des Schwarzen Meeres mit der Halbinsel Krim

Asiatisches Russland

8. Der Kaukasus 
9. Turkestan 
10. Ost-Sibiren (Trans-Baikalien, Amurgebiet und Küstengebiet)

 

HAUPTSEITE

Textquelle: 
Kurze militär-geographische Beschreibung Russlands
von L. Schmidt
Hauptmann und Kompagniechef im k. bayr. 7. Inf. Regt. Prinz Leopold
Militär-Verlag von Zuckerschwerdt & Co.
Berlin 1913